2. Febru­ar 2012

Stadtratssitzung zu TOP 9: „Teilnahme an der Fairtrade town Kampagne“ — Hans-Georg Hansen

Sehr geehr­ter Herr Oberbürgermeister,
mei­ne Damen und Herren,

ich habe eine Befürch­tung! Die näm­lich, dass mit dem von uns gestell­ten Antrag zur Teil­nah­me an der Fair­­tra­de-town-Kam­­pa­­g­ne, zunächst ein­mal all­zu­vie­le unse­rer Mit­bür­ger nichts anfan­gen können.

Fair­­tra­de-Stadt“, was soll dann denn sein?, wird viel­leicht der ein oder ande­re fra­gen. „Haben die in der Stadt nicht ande­re Sorgen?“

Kann schon sein, dass es auch ande­re Sor­gen gibt. Aber wor­um geht es denn, was wol­len wir errei­chen, wenn wir uns dar­um bemü­hen, eine Fair­­tra­de-Stadt zu werden?

Wir sehen nicht erst seit Fuku­shi­ma und dem Atom­aus­stieg, dass wir in einer Welt leben. Die­se unse­re eine Welt hat nur eine Zukunft, wenn wir dem Leben auf der Über­hol­spur entgegentreten. 

Das betrifft jeden ein­zel­nen in sei­nem per­sön­li­chen Umfeld, das betrifft auch die Städ­te und Gemein­den, die m i t ihren Bür­gern und f ü r ihre Bür­ger Posi­ti­on bezie­hen müs­sen, wofür wir stehen.

Unse­re Stadt Ander­nach steht für ein offe­nes Mit­ein­an­der und für Trans­pa­renz, für Grund- und Men­schen­rech­te, für Arbeits- und Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen, die die Wür­de des Men­schen, aber auch den Erhalt der Natur ernst nehmen.

Das sind Grund­sät­ze, die nicht an den Zufahrts­stra­ßen der Stadt begin­nen oder enden dür­fen. Das sind Grund­sät­ze, für die w i r a l l e uns welt­weit ein­set­zen müs­sen. Wohl­klin­gen­de Absichts­er­klä­run­gen brin­gen da nichts; gefragt sind kon­kre­te Taten, mögen sie auf den ers­ten Blick noch so klein erschei­nen. Wir waren da nicht untä­tig: ich erin­ne­re nur an Holz­hack­schnit­zel­wer­ke, Fern­wär­me, Block­heiz­kraft­wer­ke und gro­ße Inves­ti­tio­nen zB in Wär­me­däm­mung, aber auch an unser Enga­ge­ment für regio­na­le Pro­duk­te. Das ist wei­ter wich­tig, und wir wer­den ja spä­ter noch spre­chen, wie wir uns für die Ener­gie­wen­de auch in Ander­nach stark machen können.
Mei­ne Damen und Herren,
welt­weit wer­den nach den Zah­len der ILO 215 Mil­lio­nen Kin­der zur Arbeit gezwun­gen, ca. 115 Mil­lio­nen von ihnen unter unmensch­li­chen und aus­beu­te­ri­schen Bedin­gun­gen. Sie müs­sen täg­lich vie­le Stun­den lang schuf­ten, statt zur Schu­le zu gehen. Kin­der, die ohne Hoff­nung auf eine bes­se­re Zukunft Stei­ne auch für deut­sche Kun­den spal­ten, unter sen­gen­der Son­ne Baum­wol­le pflü­cken, Klei­dungs­stü­cke nähen, sich als Leib­ei­ge­ne in frem­den Haus­hal­ten abmü­hen und so weiter.

Aber auch erwach­se­ne Nähe­rin­nen müs­sen sich mit Klam­mern die Augen offen hal­ten, um ihr Pen­sum für einen Hun­ger­lohn über­haupt zu schaf­fen. Blu­men­ar­bei­te­rin­nen sind schutz­los Pes­ti­zi­den und manch­mal auch den Über­grif­fen von Auf­se­hern aus­ge­lie­fert. Mil­lio­nen von Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mern haben kei­ner­lei Rech­te. Laut Schät­zun­gen leben 27 Mil­lio­nen Men­schen welt­weit in Skla­ve­rei. Armut ist die Ursa­che für die­se Miss­stän­de, Armut ist aber auch die Folge.

Es war gut und rich­tig, wenn der Rat sich im Jahr 2007 auf unse­ren Antrag dafür aus­ge­spro­chen hat, kei­ne Pro­duk­te aus aus­beu­te­ri­scher Kin­der­ar­beit bei der Stadt­ver­wal­tung zuzulassen. 

Nun geht es aber um einen wei­te­ren Schritt nach vorne.

Denn Boy­kott allein gegen all die Pro­duk­te, die unter aus­beu­te­ri­schen Bedin­gun­gen her­ge­stellt wer­den, ist nicht die Lösung. Wir müs­sen Alter­na­ti­ven schaf­fen. Wir müs­sen die Armut bekämp­fen, Zugang zu Aus­bil­dung und Bil­dung sicherstellen. 

Der Fai­re Han­del ist eine sol­che Alter­na­ti­ve. Er bie­tet jedem in Ander­nach und sonst­wo die Mög­lich­keit, Pro­duk­te zu kau­fen, die unter fai­ren Bedin­gun­gen her­ge­stellt wur­den. Er ist die dadurch die Chan­ce, Pro­jek­te zu för­dern, die an den Ursa­chen von Not und Armut anset­zen. Sol­che Pro­jek­te geben Hoff­nung. Der Fai­re Han­del ist dar­um eine der wich­tigs­ten Säu­len einer glaub­wür­di­gen Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit auf Augenhöhe. 

Nicht Almo­sen, son­dern fai­re Chan­cen – das ist es, was die Men­schen in den Erzeu­ger­län­dern wol­len und was sie verdienen.

Des­halb, und weil wir in einer Welt leben, ist der fai­re Han­del, ist die Teil­nah­me an der fair­­tra­de-town-Bewe­­gung auch unse­re Chan­ce und unse­re Auf­ga­be, wenn wir unse­re eige­nen Grund­sät­ze ernst nehmen.

Dann ist es auch nicht damit getan, im Büro der Ober­bür­ger­meis­ters fair gehan­del­ten Kaf­fee aus­zu­schen­ken. Zu Recht wird gefor­dert, dass in einer „Fair­­tra­de-Town“ schon mehr pas­sie­ren muss: 

Die Teil­nah­me einer Steue­rungs­grup­pe, die sich im Kern ja schon gefun­den hat. Ihnen dan­ken wir für die bis­he­ri­ge Arbeit. Ich fürch­te, die wirk­li­che Arbeit wird jetzt erst so rich­tig los­ge­hen. Wir sind ger­ne bereit, dar­an mit­zu­hel­fen, uns einzubringen.

Erfor­der­lich sind neben der Beicht­erstat­tung in der Pres­se natür­lich die Bereit­schaft des Ein­zel­han­dels, fair gehan­del­te Pro­duk­te anzu­bie­ten. Da bin ich guter Din­ge. In die­sem Zusam­men­hang möch­te ich auch ganz herz­lich unse­ren Dank und unse­re Aner­ken­nung den ehren­amt­lich Täti­gen in unse­rer Stadt zum Aus­druck brin­gen. Sie enga­gie­ren sich zum Teil seit vie­len Jah­ren für den fai­ren Han­del in unse­rer Stadt, allen vor­an Frau Doris Jonas und ihrer Akti­on „eine Welt“. 

Ganz wich­tig ist aus unse­rer Sicht, dass mit attrak­ti­ven Aktio­nen in Ver­ei­nen, Schu­len und Kir­chen für den fai­ren Han­del gewor­ben wird. 

In die­sem Sin­ne ist der heu­ti­ge Beschluss zugleich eine Ein­la­dung an die gesam­te Bevöl­ke­rung, aber auch an die Wirt­schaft, an die Gas­tro­no­mie, an Ver­ei­ne, Ver­bän­de und Behör­den, sich noch inten­si­ver mit dem The­ma „Fai­rer Han­del“ aus­ein­an­der­zu­set­zen und mit einem per­sön­li­chen Bei­trag, mag er auch noch so klein schei­nen, ein­zu­tre­ten für nach­hal­ti­ge­re, gerech­te­re Wirt­schafts­be­zie­hun­gen zu Pro­du­zen­ten in Latein­ame­ri­ka, Afri­ka und Asien.

Dann habe ich kei­ne Befürch­tung, dann habe ich die Erwar­tung, dass unse­re Mit­bür­ger auch „mit­ma­chen“, dass sie den heu­ti­gen Beschluss in ihren Ver­ei­nen, Schu­len, der Gas­tro­no­mie und Zuhau­se unter­stüt­zen werden.

Fair­­tra­de-Stadt Ander­nach“ ist kein Titel, mit dem wir uns dann irgend­wann ein­mal schmü­cken wollen.
Es soll ein A u f t r a g sein, jeden Tag auf unse­re Wei­se dar­an hin­zu­wir­ken, dass die­se unse­re eine Welt ein klei­nes biss­chen gerech­ter wird. 

Gehen wir es also an, und set­zen heu­te den ers­ten Schritt.